Über alle Berge nach Le Seu d’Urgell

Über alle Berge nach Le Seu d’Urgell

Bis zu unserem Tagesziel Le Seu d’Urgell sind es rund 240 km, für die wir fast vier Stunden Fahrzeit einplanen. Die schmale N620 windet sich durch eine Gebirgslandschaft wie aus dem Fotokalender. Eine wunderschöne Strecke, aber die unübersichtliche Kurven und der Gegenverkehr erfordern eine vorsichtige Fahrweise. Mehr als 60 km/h sind hier nicht zu schaffen, doch das stört uns keineswegs. Wir haben es nicht eilig und es gibt so viel zu sehen.

Seira Bergstrecke

Die Vegetation wird karg, nur eine dünne Erdschicht überzieht den felsigen Untergrund. Auf einer Hochebene machen wir eine Pause und schauen bis zu den Pyrenäengipfeln.

Bei Seira durchfahren eine spektakuläre Schlucht. Die Straße folgt dem Fluß, der senkrechte Felswände ausgeschnitten hat. Es mangelt nicht an Fotomotiven, aber es gibt keinen Seitenstreifen, der breit genug ist, um den Kastenwagen neben der schmalen Fahrbahn abzustellen. Deshalb sind die beeindruckenden Bilder nur in unseren Gedächtnis gespeichert.

In Le Seu d’Urgell erwartet uns ein staubiger Stellplatz, der außer V&E Station nichts zu bieten hat.Trotzdem ist er schon am Nachmittag fast voll, man steht recht eng nebeneinander. Jedes neu einfahrende Wohnmobil wirbelt weitere Staubwolken auf, hier kann man trotz warmer Temperaturen nicht draußen sitzen. Also gehen wir in die Innenstadt, die uns vom Reiseführer zur Besichtigung empfohlen wurde. Le Seu ist eine der ältesten Städte Kataloniens, war schon im 6. Jahrhundert Bischofssitz. Die romanische Kathedrale bekommen wir leider nur von außen zu sehen, weil alle Türen verschlossen waren. Auch vom Rest der Stadt sind wir etwas enttäuscht, nach den vielen wunderschönen Orten erwarten wir vielleicht zu viel. Durch den schönen Parc del Segre, wo Hunde verboten sind, gelangen wir zum Parc Olimpic mit dem Wildwasserkanal.

Kanuten in Le Seu d'Urgell

An der olympischen Wettkampfstätte trainieren die weltbesten Kanuten für die Kanu-Slalom Weltmeisterschaft Ende September. Es ist spannend aus nächste Nähe zu beobachten, wie sich die schmalen Boote zwischen künstlichen Felsblöcken hindurch zwängen. Im schäumenden Wasser müssen die Sportler kräftig paddeln, um die Tore zu durchfahren. Wir kennen Kanuwettbewerbe nur aus Sportübertragungen, hier ist es live und man zahlt man nicht mal Eintritt. Das Spektakel versöhnt uns wieder etwas mit dem Ort, den wir nur als Etappenziel empfehlen können.

Aínsa – dramatische Landschaft und mittelalterliches Stadtbild

Aínsa – dramatische Landschaft und mittelalterliches Stadtbild

Auf unsrer Fahrt durch die dramatische Landschaft zwischen den Ausläufern der Pyrenäen und dem wilden Fluss Cinca ist Aínsa mit seinem mittelalterlichen Stadtbild unser nächstes Ziel. Rund 100km östlich von Huesca liegt es auf einem Hügel, den Glockenturm der Pfarrkirche sieht man schon von weitem. Aber zuerst müssen wir durch das Gewusel der geschäftigen Unterstadt den Weg zum Stellplatz finden. Eine steile Auffahrt und ein paar enge Kurven weiter liegt die Altstadt mit der Burganlage direkt vor uns.

Ainsa Mittelalterliches Ensemble

Schon nach den ersten Schritten wirkt das kleine Städtchen wie aus der Zeit gefallen. Inzwischen haben wir schon einige alte Orte besucht, doch hier sind wir überrascht von dem ungewöhnlichen Gesamtbild, das die Altstadt bietet. Sämtliche Häuserfassaden bestehen aus dem Stein der Region, auch die Einfassungen von Türen und Fenstern. Man sieht keinerlei Fachwerk oder verputzte Fassaden, daraus ergibt sich ein sehr harmonisches Stadtbild. Die Häuser sind alt, aber sorgfältig renoviert, mit kunstvollen schmiedeeisernen Gittern an den Fenstern Alles scheint gerade erst vom Dornröschenschlaf erwacht. Überall setzen Blumenkästen bunte Tupfen in das Grau der Steinhäuser. Einfach nur schön!

Aínsa Plaza Major

Innerhalb der Stadtmauer drängen sich die Häuser um die Plaza Mayor, das Zentrum der Altstadt. Der große Platz ist rundherum von Säulenarkaden umgeben, in denen zahlreiche Bärs und Restaurants die Gäste erwarten. Bei einem Bier und ein paar Tapas kann man das mittelalterliche Stadtbild wunderbar auf sich wirken lassen.

Am Abend zaubert die Beleuchtung in warmen Gelbtönen eine total romantische Stimmung in die Altstadt. Wir spazieren durch die mit Flusskieseln gepflasterten Gassen und freuen uns an dem hübschen Muster, in dem sie verlegt wurden.

Ainsa Kirche

In Ainsa pflegt man die Erinnerung an die Rückeroberung der Stadt von den Mauren durch die christlichen Herrscher. Jedes Jahr wird im September ein großes Fest gefeiert mit einer Aufführung, die die damaligen Ereignisse zwischen Mauren und Christen nachstellt. Wir haben „La Morisma“ leider verpasst. Trotzdem gibt es von uns eine klare Empfehlung zum Besuch des Städtchens, wenn man in der Region unterwegs ist.

Das Königreich der Himmel und himmlische Tapas

Das Königreich der Himmel und himmlische Tapas

Heute wollen wir zur Provinzhauptstadt Aragons und landen im Königreich der Himmel.

Königreich der Himmel - Murillo

Die Fahrt nach Huesca bringt uns wirklich grandiose Ausblicke in die wilde Felslandschaft. Am linken Ufer des Rio Gállego erheben sich Berge mit ungewöhnlich runden Felsentürmen. Sie recken sich 270 Meter senkrecht in die Höhe und sind schon von weitem zu sehen. Die Mallos de Riglos gehören zu den spektakulärsten Landschaften der Vorpyrenäen und wären einen eigenen Ausflugstag wert. Wird würden sie gerne bei einer Wanderung entdecken. Doch wir wollen weiter, zu einem anderen reizvollen Ziel in der Provinz Huesca.

Mallos de Riglos Felsentürme

Das Königreich der Himmel

Das Castillo de Loarre liegt am Vorgebirge der Pyrenäen, erbaut zur Bewachung der Ebene bis hinunter zum Rio Ebro. Es gilt als eine der schönsten Burgen in Spanien, ganz sicher ist es eine der romantischsten. Errichtet im 11. Jahrhundert blieb der romanische Baustil durchgehend erhalten, weil die Burg bereits nach wenigen Jahrzehnten ihre militärische Bedeutung verlor.

Königreich der Himmel Loarre Detail

Wir sehen sofort die unverkennbare Silhouette, als wir den Fußweg vom Parkplatz nehmen. Im Jahr 2005 war die Burg Kulisse des Monumentalfilms „Königreich der Himmel“. An Originalschauplätzen drehte Regisseur Ridley Scott mit Hauptdarsteller Orlando Bloom sehr frei die Geschichte des jungen Schmiedes Balian. Dass es den historischen Balian von Ibelin tatsächlich gab, beflügelt nur unsere Phantasie, als wir Höfe und Hallen der riesigen Burganlage besichtigen. Auch wenn wir Orlando Bloom nicht angetroffen haben, war es ein interessanter Abstecher zum Königreich der Himmel.

Huesca die Hauptstadt der Tapas

Huesca Kathedrale

Die Provinzhauptstadt Huesca, im Mittelalter zeitweise Residenzstadt der Könige von Aragón, hat eine vergleichsweise kleine Altstadt, ganz oben auf einem Hügel gelegen. Die gotische Kathedrale, ihre wichtigste Sehenswürdigkeit, leuchtet rötlich in der Abendsonne, ein magischer Anblick. Im 13. Jahrhundert wurde sie auf den Ruinen einer arabischen Moschee errichtet. Die Stadt war ab 713 im Besitz der Mauren gewesen und kam erst 1098 wieder unter christliche Herrschaft.

Huesca Tapas

Soviel Kultur und Geschichte machen hungrig. Wir spazieren in die lebendige Unterstadt mit ihren zahlreichen Bars und Restaurants. Wie immer setzen wir uns an einen Tisch im Freien, es ist ein angenehm warmer Abend. Huesca ist bekannt für die besten Tapas der Provinz und die regionalen Weine. Deshalb lassen wir mit diesen appetitlichen Spezialitäten einem sehr abwechslungsreichen Tag ausklingen. In die Provinz Huesca werden wir gerne noch einmal zurück kommen.

Jaca – Abendessen auf Spanisch

Jaca – Abendessen auf Spanisch

Wir erreichen Jaca, die Stadt am Jakobsweg mit langer Geschichte erst am späten Nachmittag. Vom kostenlosen Stellplatz gehen wir eine Viertelstunde hinauf zur fünfeckigen Zitadelle, Baujahr 1582. Zu Skadis Freude weidet ein Rudel Hirsche in den grasbewachsenen Gräben um die alten Festungsmauern. Der Hund starrt ganz aufgeregt auf die sonst so scheuen Tiere, die uns und die vielen anderen Besucher konsequent ignorieren. Er wittert schon sein Abendessen, sie wissen aber genau, dass wir Ihnen nicht zu nahe kommen können.

Jaca Abendessen Hirsche

Alte Mauern und moderne Geschäfte

Der ausgiebigen Stadtrundgang führt uns zu historischen Gemäuern und zu modernen Geschäften. In der Fußgängerzone begegnen uns die Labels vieler großer Marken, überraschend für eine Stadt mit nur 12.000 Einwohnern. Ein bekannter Outdoor-Laden hat große „Soldes 50%“-Schilder im Fenster, hier beschäftigen wir uns doch gerne mit angewandter Werbewirkungsforschung. Tatsächlich findet sich im Sortiment ein breitkrempiger Hut, der die Chronistin bei künftigen Pyrenäenwanderungen vor der starken Sonne schützen wird. Die farblich passenden Wandersocken gibt es ebenfalls zum halben Preis. So gut ausgerüstet freuen wir uns schon auf die nächsten Touren. 

Jaca Abendessen Platz

Abendessen auf Spanisch

Gegen 20:30 Uhr schließen die ersten Geschäfte, bei uns meldet sich der Hunger, Zeit zum Abendessen. Auf dem großen Platz an der Kathedrale aus dem 11. Jahrhundert entdecken wir den einzigen freien Tisch. Für die Bürger der Stadt ist jetzt Zeit für ein Bier, ein paar Tapas und ganz viel Palaver mit Freunden und Bekannten. Um uns herum ist noch niemand beim Abendessen, aber der Kellner reagiert gelassen, als wir zu dieser frühen Stunde schon nach der Karte fragen. 

Uns ausländischen Touristen sieht man diese merkwürdigen Gepflogenheiten nach. Der Kellner bringt eine Speisekarte in „Francese“ und erklärt in Spanisch, dass man keine Karte in Englisch habe. Trotz unserer ausbaufähigen Spanisch-Kenntnis kommen wir zu einem ausgezeichneten Entrecote und einer großen Auswahl Pyrenäenkäse als Dessert. Dazu ein Glas kräftigen Rotwein, la vida es bella! 

Kloster San Juan de la Peña

Kloster San Juan de la Peña

Auf dem Weg nach Jaca liegt das ehemalige königliche Kloster San Juan de la Peña. Heute sieht man davon nur noch Ruinen, doch ist deren einstige Bedeutung im angeschlossenen Museum bestens dokumentiert. Wir sind überrascht, bei unserem Besuch auf einen großen Parkplatz mit vielen Reisebussen zu treffen. Offenbar interessieren sich auch heute noch viele Menschen für die frühere Klosteranlage mit der über tausendjährigen Geschichte. Mit etwas Glück können wir uns der Führung für eine der Gruppen anschließen.

Zentrum von Wissenschaft und Kultur

Kloster San Juan Kreuzgang

Als das Kloster San Juan de la Peña vor 1100 Jahren gegründet wurde, war die Welt eine andere. Das Westgotenreich war zusammengebrochen, nachdem die Mauren 711 Spanien eroberten. Der Bau des Klosters begann nach der Rückeroberung des Gebietes um 920. Im Mittelalter war es das Zentrum von Wissenschaft und Kultur im damaligen Königreich Aragon. In seinem Skriptorium fertigten die Mönche die ältesten erhaltenen Bibelmanuskripte Aragons an. Während der Maurenherrschaft erlangte das Kloster große Bedeutung als geistiges Zentrum des christlichen Widerstandes.

Zwei Klostergebäude

Das untere Kloster liegt in einer engen Schlucht, versteckt unter einem Felsüberhang, Die Mönche mussten es nach der Gründung buchstäblich in den Fels hinein bauen. Das Kloster diente als Grablege der Könige von Aragon und erhielt Stiftungen von adeligen Gönnern. Hier entstanden über die Jahrhunderte zahlreiche Kunstwerke, die in der Bildsprache des Mittelalters im Stein verewigt sind. Erhalten ist der romanische Kreuzgang unter dem Felsüberhang und die Unterkirche. Ein Brand im 17. Jahrhundert verursachte schwere Schäden an den Gebäuden, die letztendlich zu einen Neubau führten.

Kloster San Juan Kapitelle

Nach dem Brand wurde das obere Kloster neu gebaut, allerdings rund hundert Meter höher als die ursprüngliche Anlage. Dafür wählte man eine Hochfläche oberhalb des unteren Klosters, die mehr Platz bot. Dieser Neubau wurde später durch Napoleonische Truppen in Brand gesetzt und stark beschädigt. Nach der Säkularisierung verfiel die Anlage und wurde erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts restauriert. In den alten Mauern entstand ein hochmodernes Zentrum zur Geschichte des Klosters und des Königreichs Aragon.

Natur pur in Valle de Hecho

Natur pur in Valle de Hecho

Wir wollen mitten hinein in die Pyrenäen, Natur pur erleben. Deshalb steuern wir Valle de Hecho an, in der Provinz Huesca. Die Gemeinde Hecho hat ganze 600 Einwohner, wem das immer noch zu viele Menschen sind, der fährt weiter bis Selva de Oza. Dort ist kein Ort, sondern nur ein Bauernhof, dessen Kühe überall frei herumlaufen.

Natur pur ohne Handy

Am Refugio für Wanderer stellen wir den Camper über Nacht ab. Dort gibt es herrlichen Bergblick, heiße Duschen und ein leckeres Drei-Gänge-Abendessen. Aber kein Wifi und keinerlei Handy-Netz, nur ein Satelliten-Telefon für absolute Notfälle. Eben Natur pur, keine E-Mails, keine Messages, hier ist man wirklich offline. Der Hüttenwirt ersetzt die Wetter-App, morgen werde es sonnig bleiben, versichert er uns. Seinem Wort vertrauend machen wir eine erlebnisreiche Wanderung, zwischen den grasenden Kühen hindurch, über den Bach und durch ein Waldstück voller dicker Baumwurzeln. Am Himmel kreisen die riesigen Gänsegeier und die Berggipfel leuchten in der Sonne, als wir etwas müde, aber sehr zufrieden zum Refugio zurückkehren.

Höllenschlucht Boca del Infierno

Natur pur Höllenschlucht

Schon die Fahrt dorthin ist ein Erlebnis, denn die Straße ist in die senkrechte Felswand gebaut. Daher ist die holprige Fahrbahn schmal wie eine Einbahnstraße. Hier und da gibt es Ausweichbuchten, bis dorthin muss einer der Fahrer bei Gegenverkehr zurücksetzen. Unterwegs kommen Felsüberhänge unserem Dach ziemlich nahe. Spannend ist die Strecke durch die Boca del Infierno auch wegen der gelegentlichen Steinschläge. Die Höllenschlucht trägt ihren Namen zu Recht, faustgroße Brocken auf der Fahrbahn zeugen vom bröckelnden Gestein der Felswand. Die Leitplanke ist an mehreren Stellen heftig eingedellt. Dahinter geht es steil abwärts ins Bett des Rio Aragón Subordán, der tosend über große Felsblöcke spritzt. Für uns ist es die erste Fahrt durch eine Klamm mit unserem Wohnmobil. Kein Problem, sofern man ständig bereit ist, auch mal 200 Meter rückwärts zu fahren. Doch der Albtraum des Wohnmobilfahrers ist das Paradies für Raftingfreunde, auch Canyoningfans haben hier ihren Spaß.

Rush Hour in der Natur

Natur pur Feierabend

Als wir am Refugio ankommen, geraten wir voll in die ländliche Rush Hour. Nachmittags um fünf Uhr haben die Kühe Feierabend und gehen ganz gelassen nach Hause. Auch ohne einen Kuhhirten halten sie sich auf der richtigen Straßenseite und lassen sich vom Gegenverkehr nicht nervös machen. Diese relaxte Haltung im dichten Verkehr sollte man immer bewahren.